Jubiläumsheft
Theodor Peschke
Der Johannisfriedhof – ein Lebensort
Ein Spaziergang durch die letzten 50 Jahre
Alles begann beim Skatspiel. Meinen Skatbrüdern erzählte ich, dass der Vereinsvorstand von mir erwartet, dass ich die Geschichte um die Vereinsgründung herum aufschreiben möge. Im Förderverein ziehen sich jetzt etliche Mitglieder aus der Gründergeneration altersbedingt zurück. Damit gehen auch viele Erlebnisse verloren, die mit dem Gelände rund um die Friedenskirche in den vergangenen Jahrzehnten verbunden sind. Je länger ich mich nun mit dem Thema beschäftigt habe, umso vielgestaltiger werden die verschiedenen Gesichtspunkte, wie das Leben mit und auf dem Johannisfriedhof zu beschreiben ist. Ich stelle zunehmend fest, dass all das Geschehen auf dem Johannisfriedhof die jüngste deutsche Geschichte wie ein Brennglas eindrucksvoll widerspiegelt und wünsche mir daher die Beratung durch eine ortskundige Person. „Am besten, Du fragst Jani!“ „Wieso? Wer ist das?“ „Ich würd´s probieren. Sie ist das wandelnde Kulturlexikon Jenas und weiß alles und kennt jeden, nur ist sie leider schon blind.“ Und so treffe ich mich jetzt mit Jani am Johannistor zu einem Spaziergang durch die letzten fünf Jahrzehnte Jenaer Geschichte und lade Sie als Leserin und Leser ein, mich auf den Johannisfriedhof zu begleiten.
Jani erklärt mir, dass man „im Mittelalter von der Stadtkirche aus über die Johannisstraße und durch das Johannistor zum Johannisfriedhof mit der Johanniskirche ging, die heutige Katholische Kirche. Lassen Sie uns das Sträßchen „Am Heinrichsberg“ hochgehen, das ist noch ein Stück mittelalterliche Wegführung mit altem Kopfsteinpflaster. - Und nun nehmen Sie mich am Arm, junger Mann, dann geht es schneller. - Dieser Weg führte damals zum Haupteingang des alten Friedhofsgeländes. Früher gab es von der Wagnergasse aus noch einen weiteren, direkten Zugang zum Friedhof. Das war, bevor 1938 die heutige „Straße des 17. Juni“ durch das Friedhofsgelände hindurch geführt wurde. Mein Albrecht, also Ihr Pfarrer Schröter, hatte den Straßenbau immer sehr bedauert. Er hätte sehr gerne auf dem großen Friedhof mit seiner katholischen Johanniskirche und seiner evangelischen Friedenskirche die Ökumene aktiv mit Leben erfüllt. Bei dem Neubau der Straße wurden Gräber aufgelöst und viele Grabsteine umgesetzt. Wie Sie es später sehen werden, ging anscheinend dabei nicht alles mit rechten Dingen zu. - Wir gehen gleich links rüber zum Eingang, da muss ich an der Ampel nicht stehenbleiben und warten.“ „Das geht doch nicht, die vielen Autos!“ Da lacht sie „Nur Mut, junger Mann! Die Leute sind nicht so schlecht, wie Sie denken. Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will! Kennen Sie Freiligrath, von dem es stammt?“ Sie hebt ihren Arm mit dem Blindenstock demonstrativ in die Höhe, und die Autos aus beiden Richtungen halten an. So muss es gewesen sein, als Mose sein Volk durch´s Schilfmeer führte.
„Ich kenne doch jede Straße in Jena. Ich bin doch eine Jenenserin!“ „Ich habe Sie aber hier noch nie gesehen.“ „Wie auch? Ich genieße die Stille und bin hauptsächlich bei schlechtem Wetter draußen. Da bin ich allein sicherer und kann die Umwelt besser hören und fühlen und riechen, selbst Luft schmeckt. Kennen Sie die Erzählung von Elias? Sein Gott war nicht im Sturm, nicht im Erdbeben und auch nicht im Feuer, sondern im Windhauch, wie meiner.“ „Gehen Sie zur Kirche?“ „Nur noch selten. Aber ich höre gerne Rundfunkgottesdienste. - Nun passen Sie mal auf, junger Mann, wir stehen jetzt im Süden von der Friedenskirche. Der Boden hier unter Ihren Füßen ist vor über 700 Jahren als Gottesacker geweiht worden. Hier liegen viele Generationen begraben, so viele, wie sonst nirgends in Thüringen. Das ist ein besonderer Ort für mich, spüren Sie das auch? Dieser Friedhof ist für mich der Ort, wo ich eine Ahnung von der Ewigkeit habe. Hier ist alles zeitlos, hier sind alle Menschen gleich. Hier brauch´ ich keine Uhr und kein Geld. - Früher war hier mal wenigstens eine Bank.“ „Hier ist doch eine.“ „Eine neue? Warum sagt mir das keiner?“, lacht sie.
© Th. Peschke
Der Johannisfriedhof
Christina Apfel
Der Johannisfriedhof, „cimeterium sancti Johannis“ lag außerhalb der Stadt Jena, in der Johannisvorstadt, die ihren Namen nach der ältesten Kirche Jenas St Johannes Baptist trug. Die Johannisvorstadt, dass frühere Dorf Leutra, wurde mit Jena bereits um 830 im Hersfelder Zehntregister urkundlich erwähnt, 1307 auch der Friedhof. Das Friedhofsgelände zog sich von der heutigen Wagnergasse aus bergan Richtung Norden um die katholische Kirche herum. Mit der Reformation wurde aus der katholischen Pfarrkirche St Johannes Baptist eine evangelische Begräbniskapelle, die im 17. Jahrhundert zunehmend verfiel. Seit 1806 wurde diese Kirche St. Johannes Baptist wieder eine römischkatholische Kirche, denn Napoleon Bonaparte schenkte sie der katholischen Gemeinde um den französischen Emigranten Gabriel Henry.
Die zeitliche Entwicklung des Johannisfriedhofs kann in vier Phasen aufgeteilt werden, die auch heute noch erkennbar sind.
– Vor 1578: der älteste Teil ist der südlichste, dessen Ausdehnung von der Wagnergasse bis hinter die kath. Kirche reichte. – Im Jahre 1578 musste wegen der in Jena wütenden Pest der Friedhof vergrößert werden. Es kam der Teil nördlich der
später gebauten, heutigen Friedenskirche hinzu. Der gesamte Friedhof war und ist ummauert, wobei die östliche
Friedhofsmauer 1594, die gesamte Friedhofsmauer 1665 erneuert wurden. Die inneren Friedhofsmauern stammen noch
aus dieser Zeit.
– Die dritte Vergrößerung des Friedhofes erfolgte 1831. Dazu wurde die Mauer gegenüber der heutigen Friedenskirche
mit einem Durchgang nach Westen versehen und auf diese Weise, der alte katholische Pfarrgarten als Friedhofser-
weiterung genutzt.
– Nach Norden erfolgte die vierte Erweiterung 1851, hinter das 1836 erbaute Leichenhaus, bis zur heutigen Straße „Am
Johannisfriedhof“. Die Flurkarte von Dr. Herbert Koch zeigt die damalige Struktur sehr deutlich.
– Im Jahr 1877 erweiterte sich der Friedhof bis zur heutigen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitäts-
klinikums Jena am Philosophenweg. Diese nördlichsten Erweiterungen wurde 1959 an die Universität Jena verkauft. Dort
wurde später das Rechenzentrum der Universität erbaut.
© Ch. Apfel